zur Kindheit
"Du bist es, Kind Gottes!... Nimm Abschied! Geh nach Frankreich,
du sollst!..."
Da fängt die Kleine an zu zittern und zu schluchzen: "Ich bin
nur ein armes Mädchen",
antwortet sie, "ich kann weder ein Pferd besteigen, noch Krieg führen." Der Engel aber
wiederholt: "Nimm Abschied! Geh nach Frankreich! Du sollst!" Und er verschwand. -
Und wiederum erscheint der himmlische Bote. Da weist sie auf
ihre Bauernkleider,
streckt ihm fast abwehrend die Arme entgegen, zeigt ihm die Hände, die nur mit Kunkel
und Karst umgegangen sind und möchte so gerne noch einmal ihm ihre ganze Ohnmacht
ausdrücken: "Ich bin nur ein armes Mädchen, ich kenne weder a noch b; ich kann weder
reiten noch Krieg führen." Aber sie will gehorchen. - Der Lohn folgt. Sankt Michael
gibt ihr die tröstliche Versicherung: "Gott sorgt für alles, was dir fehlt. Ich führe
dir zwei Heilige zu. Es sind dies die Jungfrauen Katharina und Margareta. Gott hat sie
beauftragt, dich zu leiten; du brauchst nur ihrem Rat zu folgen." Und schon sieht
Jeannette in himmlischer Klarheit zwei wunderliebliche Gestalten. Goldkronen tragen
sie. Die Heiligen heißen die Kleine näherkommen, liebreich umarmen sie das Mädchen.
Dies aber betrachtet sie entzückt, gibt ihnen die Hand und küßt sie in tiefer
Ehrfurcht.
Von nun an suchen die beiden Heiligen sie mehrmals in der Woche
auf und belehren
sie über ihre Aufgabe. Jeannette aber nennt sie voll demütiger Dankbarkeit "ihren Rat"
oder "ihre Stimmen" und dankt Gott für die außergewöhnliche Gnade.
Frankreichs Lage wird immer düsterer und auch die "Lothringischen
Marken" werden vom ehernen Schritt des Krieges nicht verschont. Die Bewohner von Domremy,
darunter die Familie Jakob d'Arc, flüchten nach Neufchâteau. Vier Tage des Jahres 1425
verharren sie dort. Dann kehren sie heim. Wohl denen, die Habe und Herde mit sich geführt;
denn der anderen Häuser und Ställe waren leer. Die Kirche ist zum Teil zerstört. Was aber
ist's, das dem treusorgenden Vater von Jeannette die Ruhe raubt?
Immer und immer wieder hat er denselben Traum. Er sieht eine Frauengestalt - inmitten
von Soldaten reitet sie -, sie gibt ihnen Befehle. Dann erkennt er auf einmal in ihr
seine Tochter. Sollte seiner geliebten Jeannette in diesen Kriegszeiten etwas Schlimmes
zustoßen? Lieber sähe er sie tot zu seinen Füßen. Noch weiß der Vater nichts von den
himmlischen Erscheinungen. Noch weiß er nicht, daß der Erzengel im Auftrage des
Allerhöchsten von seiner Tochter Jeannette gefordert, hinzugehen nach Vaucouleurs,
den Hauptmann daselbst zu bitten, ihr Begleitschaft zu geben, um zum Dauphin hinzueilen.
Arme Jeannette! Dein Stand ist schwer, aber die Vorsehung wacht.
Am 1. Mai 1428 klopft
ein Verwandter, Durand Laxart, an die Pforte des väterlichen Hauses und bittet um Besuch
des jungen Mädchens. Die Eltern bewilligen es gerne. So wandern die beiden nach
Burley-le-Petit. Vom Geiste Gottes getrieben, offenbart Jeannette die Geheimnisse
der letzten Jahre und bittet ihn, sie nach Vaucouleurs zu führen. Durand versucht
sogleich, den Hauptmann zu sprechen. Robert de Baudricourt hört sich alles an und
meint, man solle sie ins Vaterhaus zurückführen und ihr einige Ohrfeigen geben.
Jeannette ist nicht entmutigt ob dieser Antwort. Ihre himmlischen Berater haben
es ihr vorausgesagt. Aber sie verzagt nicht. Bald erhält sie selbst Zutritt zum
Hauptmann. Sie erkennt ihn unter allen heraus, sagt ihre Botschaft vom Herrn.
"Wer ist dein Herr?" fragt Robert de Baudricourt.
"Es ist der König des Himmels", gibt sie, die Gottgesandte,
zur Antwort. Nachdem sie einige Zeit in Burley-le-Petit geweilt hat, kehrt sie nach
Hause zurück.
Etwas später zeigen die Heiligen Jeannette die Abschiedsstunde
an. Ihr Herz möchte zerreißen vor Weh. Wie Vater und Mutter das Leid antun? Lebewohl
sagen den Freundinnen der Kindheit, all den guten, treuen Menschen?... Doch nein, es
muß sein! Durand gibt sie Nachricht vom Befehl des Himmels. Noch einmal durchwandert
sie das Haus, den Garten, wo sie die erste Botschaft empfing, eilt zur Kirche, die
ihr lieb und teuer ward durch die Taufe, die erste heilige Kommunion... Durand kommt
sie holen zur Pflege seiner Frau, die ein Kindlein erwartet. Vergebens sucht Durand
den Hauptmann umzustimmen. Da schreitet Jeannette wiederum selbst zur Tat. Sie wird
empfangen, doch die Antwort ist abweisend. Da hält sie's nicht länger. Sie legt die
Männerkleidung, die Durand ihr von sich beschaffte, an: anders darf sie nicht vor
dem Heer erscheinen. Mit Durand und Jakob Alain bricht sie auf. Unterwegs kehrt sie
in eine Kapelle, die Sankt Nikolaus geweiht ist, ein und betet lange, lange. Da wird
ihr das Geheiß, umzukehren, den Widerstand Baudricourts zu brechen, der ihr eine
angemessene Waffenrüstung verschaffen soll. Sie gehorcht. Ihre Natur ist traurig ob der
Verzögerung, aber unerschütterlich fest bleibt ihr Vertrauen auf den mächigen und
alleinigen Herrn.
"Wann werde ich weggehen?" fragt sie Katharina Le Royer,
in deren Hause sie in Vaucouleurs Wohnung genommen hat. "Gott hat mir versichert,
daß unser Vaterland nur durch mich gerettet werde. Erinnert Ihr Euch der Prophezeiung,
Katharina, die man überall wiederholt: Frankreich ging durch eine Frau verloren; es
wird durch eine Jungfrau gerettet werden, die aus den Grenzbezirken Lothringens kommt?"
Ein Ritter, der ihr herzlich zugetan war, hieß Bertrand von
Poulengy. Er war Zeuge einer der Unterhandlungen zwischen Jeannette und Baudricourt
gewesen und sann über den Sinn all ihrer Worte ernstlich nach.
Der Jungfrau Name war nun nicht mehr unbekannt im Lande. Der
kranke Herzog von Lothringen, Karl II., verlangte das wundersame Mädchen zu sehen.
Mit Begleitschaft zog sie dahin, kehrte zurück, nachdem sie sich für seine verstoßene
Gemahlin verwandt, mit reichem Geldgeschenk und einem Rappen aus dem herzoglichen
Marstall bedacht.
Bald schlägt die Stunde des Erfolges. Sie tritt vor Baudricourt
hin und sagt ihm in aller Bestimmtheit Tag und Umstände der Schlacht bei Rouvray
voraus: "Im Namen Gottes, Ihr zögert zu sehr, mich zu senden. Heute hat der edle
Dauphin bei Orleans großen Schaden gelitten. Und er wird Gefahr laufen, noch größeren
zu erleiden, wenn Ihr mich nicht bald zu ihm schickt." Ihre Vorhersage bestätigte sich.
Baudricourt war darob so erschüttert, daß er vorsorglich alles zum Aufbruch der
Jungfrau rüsten ließ - (die Bewohner von Vaucouleurs hatten ihr begeistert alles
zur Auskleidung bereitet) - ihren Führern den Eid abnahm, Jeannette unversehrt zum
Dauphin zu bringen. Mit wahrer Herzlichkeit rief er ihr beim Abschied zu: "Geh! geh,
und mag kommen, was will!"
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