Dank an Gott
Die Engländer halten am 8. Mai schweren Kriegsrat. Verloren
ist ihnen die Bastille Saint Loup rechts der Loire, verloren die festen Stützpunkte
des Augustins, les Tourelles. Wohl verblieben ihnen im Westen noch Forts, stark
befestigt und verteidigt durch treffiche Artillerie. Allein was tat's, wenn es den
Soldaten an Mut gebrach?
Sie fürchteten die Jungfrau, sie, die tapfere und geschickte Kriegerin, sie, das
übernatürliche Wesen, deren Stimme sie erstarren ließ, deren Fahne sie erschreckte.
War's nicht, als ob Gott an ihrer Seite gegen sie kämpfte?... Die Führer fühlten
dasselbe, aber sie gingen hin, - teuflisch war ihr Beginnen - und streuten ein Wort
in die Reihe der Soldaten, ein Wort, das ihnen die Furcht nehmen sollte: Hexe nannten
sie die Jungfrau. Die Universität in Paris sollte der gemeinen Verleumdung den nötigen
Nachdruck geben. Kriegsrat wurde gehalten. Talbot verordnete: die Truppen verlassen
die Bastille, stellen sich in Schlachtreihe auf. Die Bewohner Orleans merken auf:
das war Kampfansage. Diesmal fragt man Jeanne sofort. Da reitet sie einher, totenbleich,
- im einfachen Waffenrock. Schnell finden unter ihrer Anweisung Führer und Mannen sich
zur Kampfforderung ein. "Es ist Gottes Wille, daß man die Engländer abziehen lasse,
wenn sie wollen. Jedoch greifen sie uns an, verteidigt Euch kühn, hegt keine Furcht;
denn werdet Ihr Meister sein."
Es ist der Tag des Herrn: vor den Augen der Engländer läßt
sie im Freien einen Altar herrichten. Angesichts des ganzen Volkes beginnt die heilige
Messe, dann eine zweite.
Tiefe Sammlung bei den Franzosen, fassungsloser Schrecken bei den Engländern. Jeanne
übergibt ihre Sache ganz der Vorsehung und erbittet ein Zeichen. Ihre Stimmen beraten
sie. "Nach welcher Richtung schauen die Feinde?" "Ville de Meung", lautet die Antwort
Umstehender. "Im Namen Gottes, sie gehen fort, lasset sie ziehen!"
Während Dankgesänge zum Himmel emporsteigen, hat sich eine
eigenartige Gruppe genaht: ein Augustinermönch, der einen französischen Ritter auf
den Schultern trägt. Talbot hatte ihn gefesselt zur strengen Überwachung seinem
Beichtvater anvertraut. Erwartete er doch hohes Lösegeld durch ihn! Der Adelige
le Bourg du Bar jedoch zwang beim Rückzug den Mönch, ihn nach Orleans hineinzutragen.
Beim Durchsuchen der Bastille des Tourelles fand man einen anderen Gefangenen,
- angekettet, Guyenne, dessen Befreiung Jeanne vorausgesagt hatte.
Für den Nachmittag und den folgenden Tag ordnet sie
Dankgottesdienste an, Predigt und Prozession, in der sich in glanzvoller Weise
Geistlichkeit, Militär und Bürgerschaft vereinen. Dann ordnet sie den Aufbruch
der Truppen, die der solange bedrückten Stadt nicht weiter zur Last fallen sollten,
an. In tiefer Danbkarkeit bereiten die Bewohner Orleans der Jungfrau beim Abschied
Ehren, wie man sie nur den Großen der Welt erzeigt. Niemals wird das Andenken an
die Wundertat ausgelöscht werden: ein siebzehnjähriges Mädchen, von Gott gesandt,
befreit in wenigen Tagen die Stadt aus tiefster Feindesnot, was die alten erfahrenen
Heeresführer lange Wochen hindurch vergebens erstrebten. -
Siegeszug nach Reims
Unterdessen weilt der Dauphin Karl inmitten seiner Familie
auf dem königlichen Schlosse in Chinon. Er läßt im Lande Dankgottesdienste halten,
sendet Siegesbotschaft hinaus. In einem Brief an die Bewohner von Narbonne zeigt
sich seine Dankgesinnung Jeanne gegenüber: "Ihr könnt nicht genug die hohen Taten
und wunderbaren Handlungen der Jungfrau, die persönlich zur Ausführung der großen
Dinge gearbeitet hat, ehren." Zwei angesehene Würdenträger der Kirche sprechen
offiziell ihr Urteil über Jeanne als die Gottgesandte aus: es sind der unsterbliche
Johann Gerson und der Erzbischof von Embrun, Jakob Gélu.
Am 13. Mai trifft Jeanne mit dem Dauphin in Tours zusammen.
Nun hat sie nur mehr eine Bitte: "Edler Dauphin, kommen Sie nach Reims, die heilige,
königliche Weihe zu empfangen. Es drängt mich, Sie inständig darum zu bitten, dorthin
zu gehen. Zögern Sie nicht, ich flehe Sie an, dort die heilige Salbung zu empfangen."
Ein wenig später erneuert sie in Gegenwart des Königlichen Rates dieselbe Bitte.
Später offenbarte sie noch einmal die Vorschläge ihrer Heiligen.
Ihr Antlitz erstrahlte, ihre Augen erhoben sich mit Seherblick zum Himmel. Das Ganze
verfehlte den Eindruck nicht. Man drängte den Dauphin zur Tat. Der endgültige Befehl
zum Vormarsch auf Reims wurde gegeben. Nur einer störte den Frieden, Trémoïlle, der
sein eigenes Ich nicht bezwingen konnte, um rückhaltlos der großen Sache mit großem
Herzen zu dienen. Aber die Vorsehung wachte. Ein neuer Siegeszug der Jungfrau beginnt.
Viel kluge Taktik kostet der Kampf, viel harte Mühen und nimmermüdes Vorausstürmen,
viel Ermutigung für andere. Ihre Opferbereitschaft ist grenzenlos und ihr Vertrauen
verliert sich bedingungslos in der liebenden Allmacht Gottes. "Ich glaube, daß Jeanne
von Gott geschickt ist", erklärt der Bâtard von Orleans. "Ihre Handlungen und Kriegstaten
scheinen mir nicht die Frucht menschlichen Könnens, sondern göttlicher Eingebung zu sein."
Am 11. Juni erreicht Jeanne, gefolgt vom Herzog von Alençon,
Dunois, La Hire, Gaucourt und anderer Führer, Orleans. Welch ein Empfang! Man reicht
ihr den Ehrentrunk, schenkt ihr reiche Kleider, rüstet ihre Kämpfer mit allem nötigen
Kriegsmaterial aus. Selbigen Tags zieht Jeanne an der Spitze von 8000 Mann gegen Jargeau.
Suffolk tritt ihnen entgegen. Inmitten des Kampfes ruft Jeanne Alençon zu: "Zur Seite,
mein Herzog, und schnell, wenn diese Maschine da Sie nicht töten soll." Er folgt sofort
dem Worte. Wenige Sekunden nachher ist Sire du Lude an jenem Platze zu Tode getroffen.
"Gott war mit uns!", sagt später Alençon, "denn die Nachtwache war gering und ein Überfall
der Feinde hätte der Armee große Gefahr gebracht." Heftig tobt der Kampf am folgenden
Morgen weiter. Suffolk will verhandeln, lehnt aber die Bedingungen stolz ab. Von
neuem Schlachttrompeten und Heroldsruf. Der Herzog zögert: "Ach, mein Herzog, hast
Du Furcht, weißt Du nicht, daß ich Deiner Gemahlin versprach, Dich heil und gesund
zurückzuführen?" Vier Stunden totbringender Kampf. Jeanne heißt eine Leiter herrichten,
mit der Fahne in der Hand steigt sie empor. Ein großer Stein trifft ihre Sturmhaube,
sie taumelt in den Graben. Die nächste Sekunde erhebt sie sich wieder: "Freunde! Freunde!
drauf! drauf! Unser Herrgott hat die Engländer verdammt. In dieser Stunde sind sie unser!
Habt guten Mut und vorwärts!" Im Sturm wird die Stadt genommen. Graf Suffolk ergibt sich
als Gefangener. Mit mildreicher Sorge läßt Jeanne ihn und seine Begleitschaft in Sicherheit
bringen. 6-700 tote englische Krieger decken das Schlachtfeld.
Währenddessen aber genießt der Dauphin auf dem Schlosse Sully
in vollen Zügen die Gastfreundschaft des eigennützigen Ministers Trémoïlle. Fortwährend
sucht dieser Karl vom übernatürlichen Einfluß Jeannes fernzuhalten. Noch kann er nicht
den Kriegsruhm des jungen Kindes schmälern. Aber Verwirrung bringen, das kann er schon.
Von ihm aufgehetzt, verbietet der Dauphin dem Herzog, den Connetable Richemont als
Streiter in die Reihen aufzunehmen. Was nun tun? Draußen stand das englische Heer,
ausgerüstet durch Bedford, befehligt von Falstoff. Talbot, in grimmigem Haß, drängt
zum Kampf. Da greift die Gottgesandte ein. Sie stellt den Connetable an den rechten
Platz, reiht seine wohlorganisierte Schar in die französische Armee. Die Garnison
des Schlosses Beaugency ergibt sich von selbst, - in Eile räumen die Feinde Meung.
Verfolgung der Feinde ist diesesmal Jeannes Losungswort: "Der edle König von Frankreich
wird heute den größten Sieg davontragen, den er jemals gehabt hat; meine Stimmen haben
mir gesagt, daß die Engländer unser sind." Ein flüchtiger Hirsch stöbert versteckte
Feinde auf. La Hire schickt Ordre: 1000 kampfbereite Krieger in Vorhut. "Habt Ihr
Sporen?" fragt Jeanne die Generale. Verängstigt rufen sie alle aus: "Wie denn,
müssen wir fliehen?" "Nein, nein", antwortet sie, "geht ohne Furcht auf sie los,
sie werden geschlagen; nur wenige Leute verliert Ihr, die Engländer werden fliehen
und Ihr müßt gute Sporen haben, sie zu verfolgen." In Blitzeseile stürmt La Hire
voran, nimmt Talbot und seine Bogenschützen gefangen. Lord Scales, Thomas Rampton,
Sire de Honguerfort, sie alle fallen in die Hände der Franzosen.
Glorreicher Tag von Patay! Falstoff und der Rest fliehen.
- Jeanne aber geht über das Schlachtfeld. 2000 Tote schlafen den letzten Schlaf,
- 200 gehen der Gefangenschaft entgegen. Sie sucht die Verwundeten und Sterbenden,
- schwesterlich tröstet sie, läßt Hilfe herbeiholen für Leib und Seele.
Am Abend vereinigen sich die Generale mit Jeanne im Dankgebet
zu Gott. Dann holt man den englischen Feldherrn Talbot. "Sie dachten nicht diesen
Morgen, daß Ähnliches Ihnen begegne", sagt Herzog von Alençon zu ihm. "Das ist
Kriegsglück", antwortet der Besiegte, trotzig und kühn. Die Sieger kehren nach
Orléans zurück.
Vergeblich erwartet man den Dauphin. Trémoïlle weiß ihn
zurückzuhalten. Da reitet Jeanne am 21. Juni gen Sully. Die erste Bitte an den
König ist die Bitte zur Aussöhnung mit dem Connetable von Richmont. Wohl will der
König ihm verzeihen, aber er verweigert seine Teilnahme an dem Zuge nach Reims. Das
ist Jeannes erste Enttäuschung vonseiten des Dauphins. Endlich am 29. Juli bricht
der König auf. Jeanne ist vorausgeeilt, um zu den Truppen zu stoßen. Trémoïlle
bemächtigt sich der Person des Herrschers. Marie von Anjou, die nach dem ersten
Plan ebenfalls in Reims gekrönt werden sollte, ließ man in Gien zurück. Am ersten
Juli lagerte man vor den Mauern von Auxerre. Leicht hätte man die Festung einnehmen
können. Trémoïlles Rat war ausschlaggebend für den Dauphin. Sie solle ruhig ihre Tore
geschlossen halten, wohl aber Lebensmittel für das Heer liefern. Saint Florentin-Brienon,
Saint Phal ergeben sich dem angestammten Herrscherhause. Ein schwieriger Fall war Troyes.
Wegen des Vertrages mit Burgund verweigerte man den königlichen Truppen den Einlaß.
Die aber schmachteten schon fünf Tage, da der Proviant ausgegangen war. Der Kanzler
gab den Rat umzukehren, befragte aber danach noch Robert le Masson. Der schlug vor,
Jeanne zu rufen. Sollte man darüber abstimmen? Da trat nach energischem Klopfen schon
die Jungfrau ein. Ihre Stimmen hatten sie erleuchtet. Der Kanzler unterrichtete sie
vom Vorgefallenen. "Glaubt Ihr Meinen Worten, Sire?" "Ich weiß nicht",
antwortete dieser, "Wenn Du mir vernünftige und nützliche Dinge sagst, glaube ich gerne."
"Wird mir geglaubt?" wiederholt sie. "Ja, je nachdem was du
sagst", ist die zweifelnde Antwort. "Edler Dauphin", nimmt sie darauf das Wort,
"befehlen Sie Ihren Leuten, Troyes zu belagern, und halten Sie nicht mehr länger
Konferenzen; denn im Namen Gottes, ehe drei Tage vestrichen sind, führe ich Sie
in diese Stadt - mit Güte oder Gewalt, und der falsche Burgunder wird bestürzt
werden." Ungläubig meint der Erzbischof, man solle wohl warten, wenn man in sechs
Tagen nur da sei, aber man wisse nicht, ob es wahr sei. Schmerzlich empfindet es
Jeanne, daß man dem Himmel so wenig Vertrauen schenkt. Sie schaut den Dauphin an:
"Hören Sie auf zu zweifeln, morgen sind Sie Herr der Stadt." Und o Wunder! Am
anderen Morgen öffnen sich die Tore der Stadt, im selben Augenblicke, als Jeanne
das Zeichen zum Kampfe gibt. Heraus treten der Bischof und angesehene Bürger und
bitten um schonungsvolle Übergabe. Welch ein Umschwung! Was war die Ursache? Die
Garnison von Troyes hatte das große Feldherrentalent Jeannes erkannt und mit Staunen
die allgemeine begeisterte Bereitwilligkeit, ihrer Weisung zu folgen, wahrgenommen;
zudem wirkte für ihre Mission ein Mönch, der beim Herannahen noch ihr Gegner gewesen
war. Man konnte das Wunder kaum fassen. Jubel der Versöhnung lang getrennter
Stammesbrüder!
Unter Freudentränen umarmt man einander. Die englisch-burgundischen Truppen marschierten
anderen Tags aus der Garnison. Die Bewohner von Troyes senden Kunde an die Reimser,
fordern sie auf, ihrem Beispiele zu folgen. Jeanne eilt mit dem Heere voran. Auf
ihre Botschaft: "Ergebt Euch dem Könige des Himmels und dem edlen König Karl!"
öffnen sich weitere Pforten von Schlössern und Städten dem Einzuge des angestammten
Herrschers.
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